16.02.2005
Die Künstlergruppe "De Stijl": Mit radikalem Farb-Purismus zu einer neuen Ästhetik
Die 1917 gegründete Bewegung erneuerte Architektur und Kunst mit einer Beschränkung auf Primärfarben und gerade Linien
Viele Farben gab es nicht in den puristischen Werken der Künstler von "De Stijl". Die Künstlergruppe war um 1917 in Holland entstanden, wo Theo van Doesburg und Piet Mondrian eine gleichnamige Zeitschrift gegründet hatten. Bei der aus Malern, Architekten, Designern und Bildhauern bestehenden Gruppe waren nur Rot, Gelb, Blau als Primärfarben sowie Schwarz und Weiß als so betitelte Nichtfarben erlaubt. Daneben regierten klare Linien und Formen.
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Ziel der Künstler war nicht weniger als die Erneuerung von Malerei, Plastik und Architektur aus einem elementar reduzierten geometrischen Formenvokabular heraus – was ihnen auch gelang: Mit der Zeitschrift und ihren Werken beeinflussten sie nicht nur die Kunst, sondern besonders auch die Architekturszene nachhaltig. Die Architekturauffassung von "De Stijl" prägte später auch das Bauhaus und die Architektur der Neuen Sachlichkeit.
Individualität war out, natürliche Formen waren out, jeglicher Schnörkel verpönt, Vernunft und Funktionalität, also abstrakte geometrische Formen und farbliche Klarheit standen im Vordergrund. So war im Eröffnungsmanifest der Zeitschrift "De Stijl" zu lesen: "Diese kleine Zeitschrift will zur Entwicklung des neuen Schönheitsbewusstseins beitragen. Sie will den modernen Menschen empfänglich machen für das Neue in der bildenden Kunst. Sie will der archaischen Verwirrung – dem modernen Barock – die logischen Prinzipien eines reifen Stils entgegensetzen, der sich auf die reine Beziehung von Zeitgeist und Gestaltungsmittel gründet."
In den Theorien zur Kunst klingen bei Doesburg und Mondrian Elemente verschiedener Philosophen an. Vor allem die Platonsche und Hegelsche Philosophie beeinflussten sie in ihrem grundlegenden Prinzip des Dualismus – zwischen Objektivem und Subjektivem, Abstraktion und Natur, Asymmetrie und Symmetrie, Vierdimensionalität und Dreidimensionalität, Farbe und Nicht-Farbe. So begann auch das im November 1918 erschienene erste "De Stijl"-Manifest mit den Worten: "Es gibt ein altes und ein neues Zeitbewusstsein. Das alte ist auf das Individuelle gerichtet. Das neue richtet sich auf das Universelle. Der Kampf des Individuellen gegen das Universelle offenbart sich ebenso im Weltkrieg wie in der Kunst unserer Zeit."
Stark beeinflusst war van Doesburg von der Idee, mittels einer symbolischen und mit an geometrischen Implikationen reichen Kunst eine neue, transparente, ausgeglichene und rationale Welt erreichen zu können. Dementsprechend sind Bilder, Skulpturen und Architekturentwürfe der Stijlisten ein Bekenntnis zu einer universellen Harmonie. Die Bilder sind abstrakte Kompositionen, in denen nur sehr wenig Grundformen verwendet werden. Sie bestehen aus geraden Linien, rechten Winkeln und den drei Primärfarben sowie den drei Neutraltönen Schwarz, Weiß und Grau. Selbst die Sprache ist frei von Zwischentönen. Durch die Reduzierung der Sprachmittel waren individuelle Ergüsse kaum noch möglich.
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Für die Architektur forderte De Stijl dem Ideal folgend strenge Funktionalität, Rechteckigkeit der Flächen und den Einsatz der reinen Farbe zur Bezeichnung von Raumbeziehungen. Von Doesburg sprach dem architektonischen Raum grundsätzlich eine "gestaltlose und blinde Leere" zu. Für ihn bedeutete die Verwendung von Farbe, diesen tatsächlich zum erlebbaren Raum zu gestalten.
Die sich durchdringenden Flächen sollten dabei im freien Spiel zueinander stehen. Van Doesburgs farbliche Gestaltung von Räumen basiert auf dem bewussten Spannungsverhältnis der Farben untereinander, wobei nicht die Farbharmonie, sondern eine gewollte Dissonanz im Vordergrund steht. So bilden unterschiedliche Gelb-, Rot- oder Blautöne jeweils ein Feldpaar, umgeben von grauen, weißen und schwarzen Wandfeldern.
So unterteilte van Doesburg beispielsweise in der Ausgestaltung der ehemaligen Kaserne Aubette im Zentrum Straßburgs die Wand- und Deckenflächen in ein kompliziertes Gefüge primärfarbiger, aber auch sekundärfarbiger und unbunter Rechteckfelder und schaffte so ein von den architektonischen Gegebenheiten unabhängiges, neues Raumempfinden. Die Ausgestaltung der Aubette-Kaserne, die van Doesburg zusammen mit den Dadaisten Sophie Taeuber-Arp und Hans Arp gestaltete, ist einer der wichtigsten Beiträge von De Stijl zur Architektur. Beim damaligen Publikum stieß die Farbgestaltung hingegen auf wenig Gegenliebe.
"De Stijl" war eher ein Forum als eine feste Gruppe. So arbeiteten neben dem engen niederländischen Kreis auch russische Konstruktivisten wie El Lissitzky, italienische Futuristen wie Gino Severini und Dadaisten wie Kurt Schwitters, Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp an gemeinsamen Werken. Gleichzeitig herrschte zwischen den Hauptprotagonisten van Doesburg, Mondrain und Oud nicht immer Einigkeit. Im Laufe der Jahre entwickelten sich die Vorstellungen von Farbe und Architektur auseinander, heftige Dispute folgten. Dem Einfluss der Bewegung auf das ästhetische Empfinden einer ganzen Generation taten diese keinen Abbruch.