11.05.2005
Goethes Farbenlehre: Ein Meilenstein in der Erkenntnis von Farbe
Die sinnliche Wahrnehmung von Harmonie diente dem Dichter als Grundlage seiner Theorie
Johann Wolfgang von Goethe hat im Laufe seines Lebens rund 2.000 Seiten zum Thema Farbe zu Papier gebracht, die überwiegend zwischen 1808 und 1810 veröffentlicht wurden. Auch wenn sich Goethe in seinen Erklärungen teilweise irrte, ist seine Farbenlehre und ihr Ansatz, Farbe aus der Naturerkenntnis heraus zu erklären, heute durchaus noch relevant. Der Dichterfürst selbst soll seine Farbenlehre sogar für sein Hauptwerk gehalten haben – noch vor seinen großen dichterischen Werken.
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Seit seiner Reise nach Italien, bei der ihn das Blau des Himmels und die farbenprächtigen Werke dort arbeitender Maler begeisterten, war Goethe fasziniert von Farben und beschäftigte sich fortan intensiv mit dieser Thematik. Er führte etwa zahlreiche Versuche durch, zum Beispiel mit Prismen, und schuf mit seiner Farbenlehre seine umfassendste naturwissenschaftliche Arbeit. Im Mittelpunkt seiner Ausführungen stand dabei weniger die Physik oder eine theoretisch-wissenschaftliche Beschreibung von Licht und Farbe. Vielmehr schuf er eine aus der Erkenntnis der Natur abgeleitete Theorie, in der Sinnlichkeit, Harmonie und die Sinneswahrnehmung von Licht und Farbe eine zentrale Rolle spielen.
Er verfasste sein Werk "Zur Farbenlehre" in vier Teilen: Im "Entwurf einer Farbenlehre" legt Goethe seine Vorstellung einer Farbenlehre vor. In der "Enthüllung der Theorie Newtons" stellt er die Theorie des Physikers und Gelehrten in Frage, und versucht sogar, sie zu widerlegen. Im dritten Teil schließlich, den "Materialien zur Geschichte der Farblehre" liefert er eine umfangreiche Wissenschaftsgeschichte und eine Diskussion des Farbverständnisses von der Antike bis in seine Zeit. Erschienen sind nur diese ersten drei Teile. Der vierte blieb unvollendet und enthält unter anderem farbige Illustrationen Goethes und einen Aufsatz des Physikers Thomas Seebeck.
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Eines der zentralen Elemente der Farbtheorie Goethes ist sein Farbkreis aus den Grundfarben Gelb, Blau und Rot und deren Mischfarben Grün, Orange und Violett. Seine Farbtheorie beruht auf dem polaren Gegensatz zwischen Hell und Dunkel, zwischen Licht und Finsternis – zwischen Gelb und Blau. Gelb liegt demnach an der Grenze zur Helligkeit und Blau an der Grenze zur Dunkelheit. Alle anderen Farben entstehen aus einer Mischung dieser beiden Pole beziehungsweise einer Steigerung der beiden Pole durch die Beimischung von Rot bis zum reinen Rot im Scheitelpunkt des Kreises. Den linken, von Blau nach Rot verlaufenden Teil des Farbkreises bezeichnete er als die Minusseite, den rechten, von Gelb nach Rot verlaufenden Teil als die Plusseite. Grün im unteren Teil des Farbkreises ist schlicht die Mischung aus Gelb und Blau.
Die Farbenlehre ist ein wesentlicher Teilaspekt von Goethes ganzheitlicher, naturwissenschaftlich geprägter Weltanschauung. Es ging ihm dabei auch stark um die "sinnliche und sittliche Wirkung" der einzelnen Farben und berührte damit auch Aspekte der Farbpsychologie. So schrieb er den Farbtönen übergeordnete Eigenschaften zu: Blau etwa verband er mit Verstand, Gelb mit Vernunft, Grün mit Sinnlichkeit und Rot mit Phantasie. Die Plusseite ordnete er unter anderem den Begriffen Licht, Wärme und Nähe zu. Sie stimmen seiner Beschreibung nach regsam, lebhaft und strebend. Dagegen verband er die Minusseite mit Schatten, Dunkel und Ferne und unruhigen, weichen und sehnenden Empfindungen.
Goethe pflegte einen umfassenden Dialog mit vielen Zeitgenossen, die sich wie er mit Farben beschäftigten. Darunter waren etwa der Dichter Friedrich von Schiller, der Physiker und Philosoph Georg Christoph von Lichtenberg und der Maler Phillipp Otto Runge. Auf allgemeine Anerkennung stieß Goethe mit seinen Ausführungen allerdings nicht – zumal seine Theorie mitunter kaum zu verstehen ist. Behauptete er zudem noch beharrlich, Newton hätte sich mit seiner Erklärung geirrt, weißes Licht enthalte alle Farben. Mit diesem Einwand lag Goethe eindeutig falsch. So blieb Goethes Farbenlehre Zeit seines Lebens und lange darüber hinaus umstritten und in vielen Aspekten unverstanden.
Heute werden in den Farbenlehren von Goethe und Newton eher zwei Theorien gesehen, die aus völlig unterschiedlichen Ansätzen hervorgehen und sich eher ergänzen als widersprechen. Sie sind einmal aus der Naturerkenntnis heraus entstanden und einmal aus der Sicht von Mathematik und Physik. Die Physik allein reicht eben nicht aus zur Beschreibung eines Farbeindrucks. Dazu ist das Verständnis der Sinnesphysiologie notwendig, und genau das hatte Goethe seinerzeit bereits erkannt.