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12.09.2012

Rätselraten um blaue Hummer

An den amerikanischen Küsten häufen sich die Meldungen über ungewöhnlich gefärbte Krustentiere

Hummer sind nur im gekochten Zustand rot – lebendige Tiere sind unscheinbar bräunlich bis olivgrün gefärbt. Doch von der Ostküste Kanadas und der USA mehren sich seit einigen Monaten die Berichte über merkwürdig gefärbte Krustentiere: Häufig gehen Fischern hier blaue Hummer ins Netz, aber auch gelbe, orange und weiße Krustentiere wurden schon beobachtet. Besonders selten und aufsehenerregend sind Exemplare mit unterschiedlichen Farben auf ihrer linken und rechten Körperhälfte. Über die Gründe für diese Häufung herrscht unter Experten noch Uneinigkeit.

Unter den seltsam gefärbten Hummern sind die blauen Exemplare noch die häufigsten. Foto: Steven G. Johnson, CC-Linzenz
Hummer, Foto: Steven G. Johnson, CC-Lizenz

Das Pigment Astaxanthin, das jedem Hummer seine Farbe verleiht, ist pflanzlicher Natur. Es wird von mikroskopisch kleinen Pflanzen im Ozean hergestellt und gelangt über die Nahrungskette zum Hummer. Es ist dasselbe Carotinoid, das dem Lachs seine rote Farbe gibt. Im Hummerpanzer ist jedoch ein Teil des Pigments in einen chemischen Baustein namens Crustacyanin eingebunden. Dieser verändert die Lichtabsorption so, dass er insgesamt blau erscheint. Ein weiterer Baustein lässt das Astaxanthin gelb erscheinen.

Wenn sich all diese Farbtöne im Hummerpanzer mischen, kommt dabei am Ende die gewöhnliche grünbraune Färbung heraus. Ein blauer Hummer produziert schlicht übermäßig viel Crustacyanin, sodass das Blau alle anderen Farben übertönt. Im Kochtopf erscheint jedoch selbst ein blauer Hummer wieder krebsrot – die hohen Temperaturen lassen die Bausteine zerfallen, und das freie Astaxanthin zeigt sich in seiner puren Form.

Die Ernährung der Hummer hat zwar einen Einfluss auf die Farbe der Tiere – sie kann sie heller oder dunkler erscheinen lassen – doch für die kobaltblauen Hummer, über die jetzt vermehrt berichtet wird, bedarf es einer genetischen Veränderung. Das gilt auch für die gelben, orangen und zweifarbigen Tiere. Derartige Veränderungen hat es in der Vergangenheit vereinzelt zwar immer wieder gegeben, doch nun fragen sich Wissenschaftler, warum sich solche Genmutationen jetzt zu häufen scheinen.

Eine der möglichen Erklärungen lautet, dass durch Überfischung der Meere auch die Feinde der Hummer stark zurückgegangen sind. Während die auffällig blauen oder gelben Exemplare früher schnell Opfer von Raubfischen wurden, könnten diese heute viel größere Überlebenschancen haben.

Blaue Hummer sind im Gegensatz zu ihren gewöhnlich olivgrün gefärbten Artgenossen schlecht getarnt und könnten daher eine leichte Beute für Raubfische sein. Foto: Rick Wahle, public domain
Blauer Hummer, Foto: Rick Wahle

Douglas Pezzack vom Bedford Institut für Ozeanographie in Dartmouth an der Ostküste Kanadas weist diese Hypothese jedoch als unwahrscheinlich zurück:  "Erstens sind die Fressfeinde von kleinen Hummern mindestens so zahlreich wie zuvor. Zweitens sind große Raubfische wie der Kabeljau im Küstenbereich, wo Hummer leben, seit mehr als hundert Jahren auf dem Rückzug – und nicht erst seit ein paar Jahren. Drittens ist unklar, ob Kabeljau überhaupt Hummer auf der Speisekarte hat. Und viertens steht zu bezweifeln, ob die Farbmutation eigentlich ein Nachteil unter Wasser ist, da sich das Lichtspektrum mit der Wassertiefe verändert." Während es ein weißer Hummer vermutlich schwer mit der Tarnung habe, würden gelbe, orange und blaue Hummer in Wassertiefen von 10 bis 20 Metern wahrscheinlich nicht weiter auffallen, zumal das Wasser an der Küste oft trübe ist.

Pezzack führt das Phänomen vielmehr auf zwei Ursachen rein statistischer Natur zurück: Zum einen werden an der Ostküste mehr Hummer gefangen als zuvor – seit 2010 bringen Fischer jährlich mehr als viermal so viele Krustentiere an Land wie noch 1970. Mehr Hummer bedeuten auch mehr ungewöhnliche Hummer, ohne dass die Proportionen sich zwangsläufig verändern.

Zum anderen hat sich die Berichterstattung gewandelt: "Jeder Fischer hat jetzt eine Digitalkamera oder zumindest Zugang zu einer, und ein Foto ist schnell an die Presse geschickt oder auf Facebook gesetzt", meint Pezzack. "Wir haben auch in der Vergangenheit jedes Jahr ein paar Anrufe bezüglich farblich mutierter Hummer bekommen, doch damit haben wir uns immer nur auf lokaler Ebene beschäftigt." Doch jetzt könne die ganze Welt von diesen Sonderlingen hören und jedes einzelne Exemplar bewundern.

Ob es nun tatsächlich eine Häufung farbiger Exemplare gibt oder nicht: Faszinierend sind die Krustentiere in jedem Fall –  und wer einmal einen lebendigen, tiefblauen Hummer zu Gesicht bekommen hat, wird ihn so schnell nicht vergessen. (cs)