07.06.2006
Wie das Rote Kreuz zum roten Kreuz kam
Zu Ehren der Gründerväter wurde eine umgekehrte Schweizer Fahne als Symbol für die Hilfsorganisation gewählt
Es ist wohl eins der bekanntesten Symbole überhaupt: das leuchtend rote Kreuz auf weißem Hintergrund. Es ziert die Armbinde von Sanitätern, prangt auf Verbandskästen und ist auch auf Krankenwagen zu finden. Das rote Kreuz mit den vier geraden Armen ist das Symbol für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Doch wie kam das IKRK zum roten Kreuz? Warum ist es rot? Und woher hat es seine Form? Christliche Werte spielten ursprünglich für die Wahl des Symbols keine Rolle, zumindest nicht direkt. "Vielmehr hat das Zeichen mit der Nationalität der Gründerväter des IKRK zu tun, diese waren nämlich Schweizer", erklärt Fredrik Barkenhammar vom Deutschen Roten Kreuz.
Die Geschichte des IKRK beginnt 1859. Damals verbündeten sich die Franzosen im Kampf um die Vorherrschaft in Europa mit dem Königreich Sardinien, um Österreich aus Norditalien zu verdrängen. Die Schlacht von Solferino, die den Krieg schließlich zugunsten der französisch-sardischen Koalition entschied, forderte Zehntausende von Toten, Tausende Soldaten wurden verwundet und blieben hilflos auf dem Schlachtfeld liegen. Der Schweizer Henry Dunant wurde auf einer Geschäftsreise Zeuge dieser grausamen Schlacht. Er trommelte Freiwillige aus der Bevölkerung zusammen, welche die Verletzten pflegten – und zwar ungeachtet ihrer Herkunft. Drei Jahre später forderte Dunant in seinem Buch "Eine Erinnerung an Solferino" ein internationales Abkommen zum Schutz der Kriegsopfer. Zudem sollten in allen Ländern Hilfsorganisationen gegründet werden, die in Friedenszeiten Freiwillige ausbildeten, welche dann im Kriegsfall die Sanitätsdienste der Armeen unterstützen konnten.
Im Jahr 1863 gründete Dunant zusammen mit dem Schweizer Armeegeneral Henri Dufour sowie drei weiteren Landesgenossen das "Internationale Komitee der Hilfsgesellschaften für die Verwundetenpflege". Zu Ehren von Dunant und seines Heimatlandes, der Schweiz, schlug Dufour als Kennzeichen der Organisation die Umkehrung der Schweizer Fahne vor: ein rotes Kreuz auf weißem Hintergrund. "Mit der Annäherung an das Schweizerkreuz soll aber auch der wichtige Neutralitäts-Gedanken unterstrichen werden", erklärt Barkenhammar. Erstmals zum Einsatz kam das Rote Kreuz auf den Armbändern des medizinischen Personals im Deutsch-Dänischen Krieg 1864. Seit 1876 ist die Hilfsorganisation unter dem Namen "Internationales Komitee vom Roten Kreuz" bekannt.
Das Rote Kreuz gilt sowohl als Schutz- als auch als Kennzeichen. "In Konflikten bietet es dem medizinischen Personal Schutz vor Angriffen", sagt Barkenhammar. So stehen Personen und Objekte, die dieses Symbol tragen, unter dem humanitären Völkerrecht. Als Kennzeichen prangt das Rote Kreuz auf weißem Grund beispielsweise auf Armbinden von Sanitätern und markiert Angehörige sowie Gebäude oder Fahrzeuge der Rotkreuzgesellschaften. "Prangt aber auf einem Verbandskasten, den man im Supermarkt kauft, ein rotes Kreuz auf weißem Grund, ist das ein Missbrauch unseres Symbols", so Barkenhammar.
Kreuz ist aber nicht gleich Kreuz. Offiziell ist zwar jedes rote Kreuz auf weißem Grund als Schutzzeichen anzuerkennen. Intern hat das IKRK jedoch international beschlossen, dass das Kreuz aus fünf Quadraten bestehen soll, seine vier Arme also gleich lang wie breit sein müssen. Das ist beim Schweizer Kreuz anders: Seit 1889 ist festgelegt, dass dort die vier Arme des Kreuzes gleich lang sein müssen, dass aber jeder Arm um ein Sechstel länger als breit sein soll. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Form nicht klar geregelt. So waren die Kreuzarme ursprünglich schmal und oft bis zum Rand der Fahne durchgezogen. Die Farbkombination weißes Kreuz auf rotem Hintergrund jedoch wurde bereits im 13. Jahrhundert festgelegt.
Der deutsche Kaiser zog damals mit einer Fahne, auf der ein Kreuz als heiliges Zeichen prangte, sowie einem blutroten Banner, mit der er seine Macht über Leben und Tod demonstrieren wollte, in den Krieg. Das Recht, diese Fahnen zu führen, wurde als besondere Auszeichnung an Städte oder Talschaften verliehen und war auch mit der Reichsunmittelbarkeit verbunden. Seit die Schwyzer 1240 reichsfrei wurden, durften sie ebenfalls eine rote Fahne führen. Als sie 1289 König Rudolf von Habsburg auf einem Kriegszug gegen Burgund unterstützten, erhielten sie zudem das Recht, auf der roten Fahne die Kreuzigung sowie die Leidenswerkzeuge Christi darzustellen. Dies war der Ursprung der späteren Schweizer Fahne.
Da das Schweizer Kreuz – und somit auch das von ihm abstammende Rote Kreuz – ursprünglich eine christliche Bedeutung hat, benützen nicht alle anerkannten nationalen Hilfsgesellschaften das rote Kreuz auf weißem Grund als Emblem. Die Gesellschaften nichtchristlicher Länder ersetzten das Kreuz durch ihre eigenen Symbole. "Im Russisch-Türkischen Krieg von 1876 bis 1878 verwendete das Osmanische Reich einen roten Halbmond", erzählt Barkenhammar. Der Rote Halbmond wurde 1929 von der Genfer Konvention als Schutzzeichen anerkannt und wird heute von den Hilfsgesellschaften fast aller islamischen Länder benutzt.
Ebenfalls 1929 anerkannt wurde das Zeichen der iranischen Organisation, ein roter Löwe mit einer roten Sonne auf weißem Hintergrund. In diesem Symbol kommt die alte Flagge des Irans unter der Herrschaft des Schahs zum Ausdruck. Seit 1980 benützt auch der Iran den Roten Halbmond. Das Kennzeichen der israelischen Hilfsorganisation, ein roter Davidstern, wurde dagegen nie als Schutzzeichen anerkannt. Seit Dezember 2005 verwendet "Magen David Adom" ein auf einer Spitze stehendes rotes Quadrat, den Roten Kristall – das dritte von der Genfer Konvention akzeptierte Schutzzeichen. Auch wenn sich die Symbole auf den Kennzeichen der Hilfsorganisationen unterscheiden, an der Farbkombination rotes Zeichen auf weißem Hintergrund wurde festgehalten.