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23.03.2011

Weiße Farbe mit dunklen Seiten

In der Kunst war das hochgiftige Bleiweiß über Jahrhunderte unersetzlich

Auf niederländischen Stillleben des 17. und 18. Jahrhunderts blitzt es fast überall hervor, bringt leuchtende Reflexe auf eine silberne Kanne und auf die Scheren eines Hummers, akzentuiert die flüssige Konsistenz von Austern oder lenkt den Blick des Betrachters auf die Schale einer Zitrone: Bleiweiß, ein Pigment, das bedeutende Künstler wie Leonardo da Vinci, Rubens, Rembrandt oder Vermeer im 16. und 17. Jahrhundert, aber auch die Impressionisten im 19. Jahrhundert für ihre Gemälde verwendeten. Ohne Bleiweiß sind Gemälde dieser Jahrhunderte nicht vorstellbar, denn bis dahin war es die einzige weiße Farbe in der Ölmalerei. Heute wird das Pigment nur noch selten verwendet, denn es ist giftig und kann gesundheitliche Schäden hervorrufen.

Das 1633 entstandene "Stillleben mit Austern, Zitrone und Brötchen"des niederländischen Males Pieter Claesz ist ein Musterbeispiel dafür, wie Künstler mit Bleiweiß Lichtreflexe darstellten. Repro: public domain
Pieter Claesz, Repro: public domain

Deckendes und dauerhaftes Weiß war in der Ölmalerei seit der Renaissance stets gefragt. Bleiweiß besitzt diese Eigenschaften und ist zudem, wie alle bleihaltigen Pigmente, schnell trocknend. Außerdem schützt es die Farbe und darunterliegende Materialien vor Insekten und Pilzen. Über viele Jahrhunderte war es das einzige Weißpigment für Künstler, die mit ihm den Glanz in die Augen dargestellter Personen zauberten, Körper modellierten sowie andere Farben aufhellten und damit Farbschichten aufbauten. Außerdem nutzten sie es als Grundierung von Holztafeln und Leinwänden, um mit dem reinen Weiß als Untergrund kräftige und schöne Farben auf der Oberfläche zu erhalten. Bis etwa Mitte des 19. Jahrhunderts gab es für Bleiweiß keine Alternative, erst danach folgte die kommerzielle Herstellung von Zinkweiß.

Bleiweiß ist eines der ersten künstlich hergestellten anorganischen Pigmente. Schon im vierten Jahrhundert vor Christus erwähnte Theophrast, Schüler von Aristoteles, seine Herstellung. Auch der antike Schriftsteller Plinius erläuterte im ersten Jahrhundert nach Christus die Methode, Blei in mit Essig gefüllte Schüsseln zu legen. Dabei verband sich die Essigsäure mit dem Blei zu Bleikarbonat, das sich als weiße Schicht ablagerte. Das Bleikarbonat wurde zermahlen, zu kleinen Fladen geformt und in der Sonne getrocknet. Hieraus entwickelte sich in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts das sogenannte Loogenverfahren: Arbeiter packten bis zu zehn Tonnen Bleiplatten in Steinzeugtöpfe, stellten sie in Pferdemist und setzten sie unter Zugabe von Essig Wärme und Luft aus.

Nach einigen Wochen in diesen Oxidationsräumen, den Loogen, hatte sich das weiße Bleikarbonat gebildet. Es wurde aus den Töpfen geschlämmt, getrocknet und gemahlen. Von besonderer Qualität war aufgrund seiner brillanten, weißen Farbe das sogenannte Kremserweiß. Zur Herstellung verwendete man anstatt Essig Weintrester, Bierhefe oder gärungsfähige Obstsäfte. Diese Herstellungsmethode verlief zwar langsamer, führte aber zu einem reineren, noch weißeren und besonders lockeren Produkt.

Mit sogenannten Vanitas-Stilleben versinnbildlichten die Maler des Barock die Vergänglichkeit alles Irdischen, wie hier in dem 1603 entstandenen Bild von Jacques de Gheyn II.
Jacques de Gheyn II, Repro: public domain

Gustav Dietel führte 1839 erstmals das Kammerverfahren durch. Dabei hängte er dünne lange Bleilappen in großen gemauerten Räumen auf Holzgestelle und setzte sie Luft, Kohlendioxid, Wasser- und Essigdämpfen aus. Hierbei entstand das Bleiweiß relativ schnell. Arbeiter spritzten das entstandene Bleiweiß von den Platten ab. Den Schlamm, der sich in einem Becken sammelte, mahlten sie nach dem Trocknen. Dieses Verfahren ermöglichte die Produktion von Bleiweiß im großen industriellen Umfang.

Trotz aller Unverzichtbarkeit für die Künstler – Bleiweiß ist hochgiftig, und dies war schon in der Antike bekannt. "Wer die Farbe zubereitete, also mit dem Pulver hantierte, es einatmete oder über die Haut absorbierte, wurde langsam aber sicher krank. Die Symptome einer chronischen Bleivergiftung waren blaue Verfärbung des Zahnfleischs, verschlechtertes Allgemeinbefinden sowie Darm- und Blasenkrämpfe, die so häufig auftraten, dass man von ‘Malerkolik‘ sprach", erläutert die Kunstgeschichtlerin Marietta Rohner in ihrem Aufsatz "Bleiweiß. Ein Weißpigment mit Licht- und Schattenseiten".

Besonders die Arbeit in den Kammern, in denen Bleiweiß industriell hergestellt wurde, war gefährlich: Atmeten die Arbeiter den Staub ein, waren Lähmungen und schließlich der Tod die Folge. Heute ist die Herstellung in Kammern durch ein Fällungsverfahren abgelöst, bei dem die Gesundheit der Arbeiter weniger gefährdet wird. Allerdings verwenden Künstler Bleiweiß heute nur noch sehr selten. Sie können Kremserweiß als fertige Ölfarbe kaufen, sodass sie keinem Staub ausgesetzt sind. Dennoch sind Handschuhe zu tragen, und es ist höchste Vorsicht geboten.

Bleiweiß dient heute als wichtiges Indiz bei der Analyse von Kunstwerken, insbesondere im Zusammenhang mit fragwürdigen Zuschreibungen oder bei Verdacht auf eine Fälschung. Blei hat eine sehr hohe Dichte und ist deswegen auf Röntgenaufnahmen deutlicher zu sehen als andere Farben. Ist also zum Beispiel auf einem Gemälde, das ins 17. Jahrhundert datiert wird und weiße Farbpartien enthält, die weiße Farbe auf Röntgenaufnahmen nicht zu sehen, handelt es sich wahrscheinlich um eine Fälschung aus der Zeit nach Mitte des 19. Jahrhunderts. (an)